Schon vor der Gründung des Reiches und vor dem Erwachen dessen, was gemeinhin die moderne Zivilisation genannt wird, war der Rothengau von Menschen besiedelt. Kein Barde erzählt oder singt davon, wann die ersten Menschen dieses Land betraten, doch man munkelt, dass jene staunend von den Ruinen verlassener Elfenstädte standen, wie Kinder, die erstmals eine Burg erblicken.
Niemand weiß, warum die Elfen die Wälder verließen und die wenigen, die zu Beginn der Besiedlung die Menschen willkommen hießen und ihnen halfen, ihr Leben inmitten des Waldes einzurichten schwiegen bis zur ihre Abreise. Für lange Zeit war der Rothengau sich selbst genug. Die Menschen lebten in den kleinen Dörfern und Gemeinden abgeschlossen voneinander und trafen nur selten auf Fremde aus anderen Teilen des Landes oder gar von außerhalb. Dies änderte sich erst mit dem ersten Orkensturm. In einem kalten fernen Winter zog ein Heer von Westen über die gefrorenen Flüsse und überzog das Land mit Krieg. Hunderte starben und ganze Dörfer vergingen im Feuer und im Blutrausch der heimtückischen Feinde. Die Menschen flohen in die Ruinen der alten Elfensiedlungen, die meist auf den Gipfeln der kleinen Berge gelegen waren und beteten um ihre Rettung.
Als ihr Leid auf ein Maß gewachsen war, dass ihr Flehen die Ohren der Götter erreichte, war es der Herr Arinus, der Gott des Krieges, der sich erbarmte. Er gab zur selben Zeit in Dutzenden dieser Fluchtburgen auserwählten Männern und einer Frau die Stärke und den Willen die anderen Menschen zu führen und zu leiten. Die Auserwählten sprachen mit den Worten Arinus’ zu den anderen und jene erkannten sie als ihre Herren an. Es folgte eine Zeit der Rache und des Krieges. In zwei Jahren trugen die Menschen verstärkt durch neue Siedler aus dem Osten den Krieg zurück in die Steppen der Orks und sicherten ihr Land.
Die von Arinus Erwählten versammelten sich an einem Frühlingstag, als der letzte Schnee auf den Bergen geschmolzen war und schmiedeten ein Bündnis. Sie alle gelobten einander als Gleiche zu achten, von den Göttern mit demselben Segen und derselben großen Verantwortung versehen. So entstand der erste Rat des Rothengau und es wart vereinbart und geschworen, daß der Wille eines jeden einzelnen Ratsmitgliedes ebenso viel wert sei, wie der aller anderen. Durch freie Wahl bestimmte der Rat einen aus seiner Mitte, der als erster unter Gleichen die Stimme der Einheit des Rothengau sein sollte. Die Anführer der Menschen zogen zurück in die Ländereien aus denen sie kamen und machten sich an den Wiederaufbau des Landes. Im Laufe langer Zeit in der immer wieder Kriegszüge der Orken das Land verheerten nahmen die Söhne und Töchter dieser ersten Generation von Anführern den Segen des Arinus als Teil ihres Erbes an und wurden die Herrscher des Landes.
Auf den Felsen wuchsen Fluchtburgen für die Bevölkerung der Umgebung, die unter dem Schutz derjenigen standen, die nun Freiherren und Freifrauen genannt wurden und deren Leben der Kampfkunst und der Organisation der Verteidigung ihrer Länder gewidmet war. Der Rat des Rothengau wurde so ein Adelsrat, der sich zweimal im Jahr versammelte, um über Belange zu beraten und zu entscheiden, die gleichsam alle der beinah dreihundert Ländereien betrafen. Drei Entscheidungen dieses Rates erwiesen sich als besonders Folgenreich für die Geschichte des Landes und seiner Bewohner. Die Erste betraf die Aufstellung eines Heeres, welches im Frühjahr, wenn die Orken in ihren Steppen weilten, den Krieg zu ihnen tragen und Rache nehmen sollte. Die Ausrüstung solch eines Heeres, einer Armee von Hunderten von Rittern und ihrem Gefolge erforderte viel Geld und führte so zur Einrichtung eines Systems von Abgaben und Pflichten derjenigen, die nun Untertanen genannt wurden, gegenüber denjenigen, die nun Adel hießen.
Der erste Feldzug war ein Triumph. Tief drang das Reiterheer des Rothengau in die weiten Steppen des Orklandes ein und schlugen zwei feindliche Heere vernichtend. In keinem der folgenden Jahre bis zum heutigen Tage drangen die Truppen weiter vor und erwarben mehr Ruhm als bei diesem ersten Feldzug, dessen Glorie bald weit in andere Lande der Menschen hinein bekannt wurde. Von diesem Erfolg ausgehend zogen nun jedes Jahr Truppen des Rothengau ins Land der Feinde. Die Feldzüge wurden allerdings kleiner und dienten mehr und mehr dem erreichen konkreter Ziele und weniger der Suche nach einer Vernichtungsschlacht.
Beides, der alte Ruhm und die neuere Entwicklung führten dazu, das eines Jahres einhundert junge Ritter aus Waldburg auf der Adelsversammlung erschienen, und baten, sich dem Feldzug anschließen zu dürfen. Nach Prüfung ihrer Fähigkeiten wurde diese Bitte gewährt und stellte den Anfang einer bis heute stetig zunehmenden Entwicklung dar. Immer mehr junge Adelige, Erstgeborene im Auftrag ihrer Väter, ebenso wie Zweitgeborene auf der Suche nach Glück, zogen in den Rothengau und folgten dem Heerzug. Die neuen Streiter brachten allerdings nicht nur ihre Waffen ins Land. Viele von Ihnen blieben mit ihrem Gefolge längere Zeit. Sie brachten Geld mit und zogen weitere Siedler, Händler und Handwerker an, die für einen immer größeren Kundenkreis werkelten.
Die Sicherheit des Rothengau schien nach Westen somit gewahrt, die Feldzüge der Orks wurden immer früher vereitelt und das Land gedieh, als der Adelsrat seine zweite große Entscheidung traf. Dies war der Beschluss ein Bündnis mit dem Großherzogtum Waldburg einzugehen. Der starke Freiheitswille der Rothengauer musste hier wohl gewogen werden, gegen die Hilfe und Macht des neuen Bündnispartners, der vor dem Adelsrat persönlich gelobte, die Freiheiten und Vorrechte des Rothengau gegen die Menschen des Ostens und das neue Kaiserreich zu beschützen, wenn im Gegenzug Handelskarawanen seines Landes freien Durchzug und Schutz vor Wegelagerern erhalten würden. So kam es, dass das Grenzland als Markgrafschaft Rothengau auf Karten des Kaiserreiches verzeichnet wurde, ohne das jemals kaiserliche Beamte den Weg in die tiefen Wälder gefunden hätten.
Das Land wuchs und gedieh auch nach diesem zweiten großen Beschluss, so dass man frohgemut einen dritten traf: In einer dunklen Winternacht hatten drei Priester des Arinus an drei entlegenen Orten eine gemeinsame Vision, die ihnen befahl, ein Heer zu versammeln und gen Süden zu führen. Die Völker jenseits des Meeres, an den Gestaden Fung Chaos, so erzählte man sich bald, würden den Göttern Melgoriens spotten. Im Namen des Arinus wurde auf der Adelsversammlung zum ersten Mal seit dem großen Orkensturm der Heerbann des gesamten Rothengaus erhoben. Eine Armee formierte sich, in der Vertreter einer jeden der adeligen Familie und eine ganze Generation von Waffenknechten und freien Untertanen unter dem Grün-Roten Banner zogen. Allein die Ausrüstung des Heeres dauerte ein Jahr, bevor sich der der stahlglänzende Heerwurm von über fünfhundert Rittern durch die Markgrafschaft Niederland hinab an die Küste des Südfjords wälzte. Zwei Kisten goldenen Schmuckes waren der Preis für die Schiffe, die nun in Seeburg Segel setzten und getrieben von einem guten Wind über das Meer zur Küste von Ho Man Tscha glitten.
Der Heerzug scheiterte. Dennoch dauerte er neun Jahre. Die Streiter des Rothengau nahmen zunächst mehrere Küstenstädte im Sturm und das Land wurde im Namen des Arinus befreit und sein Banner auf den Türmen und Bergen gehisst. Eine Vielzahl neuer Freiherrschaften war im Entstehen begriffen, sichere Häfen und Erbe für die Zweit- und Drittgeborenen des Rothengau, die größte Hoffnung in diese Heerfahrt gesetzt hatten. Nach zwei Jahren aber traf der Widerstand des ganzen Landes Fung Chao mit Heeresmacht auf die neuen Lande. Sieben Jahre lang verteidigten die Ritter die Küste gegen immer neue Heere aus dem Landesinneren. Sieben Jahre in denen immer weniger Verstärkung aus der Heimat kam und in denen eine ganze Generation in den Dünen von Ho Man Tscha verblutete.
Nur wenige Dutzend überlebten den letzten Angriff und übernahmen die arinusgefällige Aufgabe die Gebeine der Gefallenen in die Heimat zu überführen. Der Heerführer Fung Chaos erwies ihren Taten am letzten Tag seinen Respekt und ließ sie in Waffen und mit ihren Fahnen abziehen, so daß sie in der Heimat als ehrenhafte Kämpfer begrüßt wurden. Seit jenem Heerzug, der nun wohl zehn Jahre her ist, besinnt sich der Rothengau auf sich selbst. Der Rhythmus des Lebens schlägt wieder in gewohnten Bahnen. Die Heerzüge von Orks und Menschen wechseln sich ab und der Wald mit seinen mannigfaltigen Wundern bestimmt das Werden von Saat und Ernte. Die Freiherren und Freifrauen sind zu gütigen Vätern und Müttern ihrer Untertanen geworden und sorgen in Arinus Namen mit ihrem Leben für das Wohlergehen aller.
Es ist ein gutes Land.